Astronomen haben mit Japans Hinode Raumschiff herausgefunden, dass die Sonne vor gewaltigen “Röntgen-Jets” strotzt. Sie schießen hunderte von Malen am Tag aus der Oberfläche heraus und geben Gasklumpen ab, die so groß sind wie Nordamerika und eine Höchstgeschwindigkeit von 3 Millionen Kilometern pro Stunde haben. Diese Jets fügen dem Sonnenwind eine signifikante Masse hinzu, und helfen vielleicht dabei ein altes Rätsel der Astrophysik zu erklären: Die Überhitzung der Sonnen-Korona.
"Dies ist großartig und unerwartet”, sagt Jonathan Cirtain vom Marshall Space Flight Center, der eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung spielte. Er erinnert sich: „Wir fanden sie vor einem Jahr, im November 2006. Hinode war erst vor kurzem gestartet und seine Instrumente kamen online.“ Um die Röntgenteleskope zu kalibrieren, richteten die Missionsleiter in Japan sie auf ein schwarzes Loch in der Atmosphäre der Sonne aus – ein so genanntes „koronales Loch.“ Cirtain analysierte die Daten und „da waren sie!“
"Nachdem der Schock abgeklungen war, rannte ich herum und schleppte andere Wissenschaftler in mein Büro, um ihnen den Film zu zeigen.“ Er vergleicht die Erscheinung der Jets, wie sie innerhalb des koronalen Loches ausbrechen mit „dem Blitzen von Weihnachtsbaumbeleuchtungen, die zufällig angeordnet sind. Es ist sehr schön.”
Cirtain merkt an, dass schon vorher Röntgen-Jets beobachtet wurden, aber nie in solch einer Menge. Die ersten Jets wurden von der ersten Generation von Röntgenteleskopen an Bord von Skylab in den 1970er Jahren aufgezeichnet. Sie wurden Röntgen-Jets genannt, weil sie bei den Wellenlängen von Röntgenlicht hell waren. Das Phänomen wurde später durch das Naval Research Lab Ultraviolett-Teleskop bestätigt, das in der 80ern an Bord des Space Shuttles flog, ebenso wie durch Japans Yohkoh Röntgenteleskop in den 1990ern. All diese Instrumente sahen sehr wenige Jets – typischerweise ein oder zwei pro Tag, sagt Cirtain. Röntgen-Jets wurden folglich als Merkwürdigkeit von geringer Bedeutung eingestuft.
Hinode hat all das geändert. Das weiterentwickelte Röntgenteleskop des Raumschiffs kann Bilder schnell genug aufnehmen, um diese sich schnell bewegenden Ausbrüche aufzuzeichnen. „Wir sehen jetzt, dass Jets ständig auftreten, bis zu 240 Mal pro Tag. Sie erscheinen auf allen Breitengraden, innerhalb von koronalen Löchern, innerhalb von Gruppen von Sonnenflecken, aus dem Nichts heraus – in Kürze, wo immer wir nachschauen, finden wir diese Jets. Sie sind eine Hauptform der Sonnenaktivität“, sagt Cirtain.
Jeder Jet wird durch einen magnetischen Ausbruch ausgelöst, oder einem “Wiederverbindungs-Ereignis” – grundsätzlich der gleiche Prozess, der solare Flares antreibt, wenn auch auf einem wesentlich niedrigeren Niveau. „Die Energie in einem typischen Jet ist etwa 1.000 Mal geringer als die Energie eines M-Class (mittlere Größe) Flares“, sagt Cirtain. Einzeln sind Jets schwach; gemeinsam jedoch vereinen sie eine ganze Menge Energie in sich. „Wenn wir die Gesamte addieren, welche die Jets in die Atmosphäre der Sonne abgeben, ist es pro Tag soviel, wie ein solarer Flare.“
Die Jets tragen vielleicht tatsächlich entscheidend zum Sonnenwind bei. Jeden Tag bläst ein heißer, unbarmherziger Wind aus Sonnenprotonen und –Elektronen in Richtung Erde, und wird vom globalen Magnetfeld unseres Planeten abgelenkt, kurz bevor er die Atmosphäre erreichen kann. Böen im Sonnenwind können helle Polarlichter, Stromausfälle und andere Effekte hervorrufen, was gemeinhin als “Weltraumwetter” bekannt ist. Was treibt den Wind weg von der Sonne? Dies ist eine Frage, die Astrophysiker seit Jahrzehnten beschäftigt. Die Jets liefern zumindest einen Teil der Antwort:
"Wir haben die Masse dieser Jets zusammengerechnet und sie macht 10-25% des Sonnenwindes aus. Dies ist ein signifikanter Teil“, sagt er.
Röntgen-Jets tragen vielleicht auch zur rätselhaften Erhitzung der äußeren Atmosphäre der Sonne bei, der geisterhaften “Korona”, die man während einer Sonnenfinsternis beobachten kann.
Das Rätsel ist folgendes: Wenn man ein Thermometer in die Oberfläche der Sonne stecken würde, zeigte es etwa 6.000° C an. Über der Oberfläche hingegen, wo einem das Gefühl sagen würde, dass es kälter sein müsste, steigt die Temperatur auf Millionen von Grad. Was erhitzt nun die Korona auf solche extreme Temperaturen?
Röntgen-Jets scheinen dabei zu helfen. Cirtain und seine Kollegen haben vier Jets bis ins Detail untersucht und herausgefunden, dass sie Magnetwellen in die obere Atmosphäre der Sonne abgeben. Diese Wellen, genannt Alfven Wellen, pflanzen sich in die Korona fort, wo sie wie eine Peitsche „knallen“ und das Gas dort erhitzen, wo der Knall sich ereignet. (Anmerkung: Wenn eine Peitsche auf der Erde knallt, dann ist dies das Resultat von Energie, welche von der schnellen Spitze der Peitsche an die Luft um sie herum abgegeben wird. Der gleiche Prozess spielt sich grundsätzlich ab, wenn Alfven Wellen in der Korona knallen.) Cirtain glaubt nicht, dass Jets die Überhitzung der Korona alleine erklären können, aber “sie tragen einen entscheidenden Teil dazu bei.”
Ein weiteres Team von Hinode Forschern, geleitet durch Bart De Pontieu von Lockheed-Martin, fanden Hinweise auf weitere Alfven Wellen, die aus einer Schicht der Sonne stammen, die Chromosphäre genannt wird. (Die Chromosphäre ist für die Sonne, was die Troposphäre für die Erde ist; beide sind Schichten der Atmosphäre nahe der Oberfläche.) Diese Alfven Wellen werden nicht durch Jets hervorgerufen, sondern durch turbulente Bewegungen in der Chromosphäre selber. „Wenn wir alle Alfven Wellen zusammenzählen, die aus der Chromosphäre plus denen der Röntgen-Jets, wäre es vielleicht genügend, um das Rätsel der koronalen Überhitzung zu erklären”, sagt Cirtain.
Selbst wenn die Jets kein großes Rätsel lösen konnten, sagt Cirtain, dass er trotzdem erfreut ist sie gefunden zu haben. „Jets erinnern mich daran, warum ich meinen Beruf liebe. Es ist jeden Tag Weihnachten.
Quelle: Science@NASA
Autor: Frank Erhardt