Eine verirrte Kugel rast durch das Kommandozentrum, schlägt Löcher in wichtige Geräte und beschädigt die Datenspeicher. Reparaturteams kommen herbeigeeilt. Der Schaden muss schnell behoben werden, damit die Kontrollsysteme nicht zusammenbrechen. Es geht buchstäblich um Leben oder Tod, und eine Entscheidung muss getroffen werden: Versucht die Schäden vor Ort zu beheben, oder bringt die kaputten Teile in die Reparaturwerkstatt.
Dieses Drama spielt sich täglich in der mikroskopisch kleinen Welt, innerhalb der Zelle von Astronauten ab. Schnelle Teilchen aus der Weltraumstrahlung fliegen durch den Körper der Astronauten. Gelegentlich wird eines dieser Teilchen einen DANN- Strang treffen und zerbrechen. Da die DNA die genetischen Informationen der Zelle enthält und deren Verhalten bestimmt, kann eine zerbrochene DNA dazu führen, dass das Zellwachstum außer Kontrolle gerät und sogar Krebs entsteht.
Glücklicherweise haben Zellen Teams von Reparaturenzymen, die versuchen, diesen Schaden zu beheben. Wissenschaftler glaubten lange Zeit, dass diese Enzyme immer an die Schadstellen wandern und die DNA vor Ort reparieren. Aber neue Forschungen von Francis Cucinotta, dem leitenden Wissenschaftler für NASAs Space Radiation Programm, am Johnson Space Center, und seinen Kollegen, deuten darauf hin, dass die Zellen die zerbrochene DNA zu speziellen “Reparaturwerkstätten” transportieren.
Es ist eine neue und kontroverse Idee, sagt Cucinotta. "Wissenschaftler haben diese Idee vorher einfach nicht diskutiert”. Und tatsächlich zeigt die Forschung, dass einige DNA Stränge direkt repariert werden. Andere hingegen werden abtransportiert.
Wo ist der Unterschied? “Ich denke, dass es die am schwersten beschädigte DNA ist, die transportiert wird”, sagt Cucinotta.
Wenn dies der Fall ist, liefert das Transportsystem den Wissenschaftlern vielleicht eine Methode, um zwischen kleineren und größeren Reparaturen zu unterscheiden. Während Zellen oftmals kleine Schäden erfolgreich beheben, vermasseln sie manchmal größere Reparaturen. Dies macht die Zelle dann noch anfälliger dafür zu einer Krebszelle zu werden, und indem man die entfernten Reparaturen selektiv blockiert, könnte man die Zelle zur Selbstzerstörung zwingen, anstatt sie sich selber reparieren zu lassen, und so die Astronauten insgesamt gesünder halten. „Es ist vielleicht besser einige der beschädigten Zellen sterben zu lassen“, sagt Cucinotta.
Um Weltraumstrahlung zu simulieren, setzte ein Team, geleitet von Sylvain Costes, vom Lawrence Berkeley National Laboratory, menschliche Zellen, die im Labor gezüchtet wurden, einer von drei Strahlenarten aus: Gammastrahlen, Röntgenstrahlen und hochenergetische Eisenkerne, erzeugt durch den Teilchenbeschleuniger an NASAs Space Radiation Laboratory, einem Teil des Brookhaven National Laboratory in Upton, New York.
Diese Eisenkerne ähneln den kosmischen Strahlen, welches die gefährlichste Form der Weltraumstrahlung ist, und vor der man sich am schwersten schützen kann. Das Experiment mit den Eisenkernen lieferte den klarsten Beweis dafür, dass Zellen zerbrochene DNA zu Reparaturwerkstätten transportieren. Diese Hochgeschwindigkeitsteilchen fliegen auf einer geraden Linie durch Zellen. Zeichen für Schäden, ausgelöst durch einen einzelnen Eisenkern, fände man also entlang einem geraden Weg.
Dies war jedoch nicht das Muster, welches Costes und seine Kollegen fanden, als sie Bilder von echten Zellen analysierten, 10 Minuten, nachdem die Zelle der Strahlung ausgesetzt wurde. Indem sie fluoreszierende Moleküle an einigen der Reparaturenzyme anbrachten, konnten die Wissenschaftler grüne, leuchtende Stellen in den Zellen beobachten, wo immer DNA repariert wurde. Statt auf einer geraden Linie zu liegen, wo die Schäden auftraten, schienen sich diese leuchtenden Flecken an anderen Stellen in der Zelle anzusammeln.
"Oft sahen wir Reparaturen nahe der Grenze zwischen dem dichten Gebiet, welches alle Chromosomen enthält, und den leereren Gebieten stattfinden”, erklärt Cucinotta.
Die Zellen transportieren die beschädigten Teile vielleicht dorthin, weil es einfacher ist, schlägt er vor. Die Reparatur von DNA benötigt Dutzende verschiedener Enzyme. Statt all diese Enzyme an der Schadstelle zu versammeln, ist es vielleicht effizienter für die Zellen all diese Enzyme an begrenzten Stellen nahe den Chromosomen zu halten, und die verletzte DNA dorthin zu bringen.
"Es ist wahrscheinlicher, dass die Reparatur so erfolgreich ist”, sagt Cucinotta. Der Transportmechanismus, den die Zelle nutzt, um die DNA zu transportieren, bleibt unbekannt.
Während die Idee der DNA Reparaturwerkstätten recht neu ist, ist sie nicht ohne Beispiel. Wenn Bakterien ihre Chromosomen duplizieren, wird die DNA durch ein Gebiet in der Zelle, genannt der Ursprung der Replikation, geschickt, anstatt die Kopierenzyme zur DNA zu schicken.
Wenn weitere Forschungen die Idee der Reparaturwerkstätten bestätigen sollten, würde das der NASA dabei helfen mit der Gesundheitsbedrohung für die Astronauten besser umzugehen.
Zum einen hilft das Verständnis dieses Transport- und Reparatursystems den Forschern ihre Computerprogramme zu verbessern, die sie für die Vorhersage der Gesundheitsrisiken durch Strahlung nutzen. Ebenso könnte ein besseres Verständnis der Mechanismen der Zellreparatur vielleicht neue molekulare Ziele für Medikamente enthüllen, die eines Tages die Widerstandsfähigkeit der Astronauten gegen Strahlung erhöhen könnten. Und dies würde das gelegentliche Geschoss – oder die kosmische Strahlung – ein wenig ungefährlicher machen.
Quelle: Science@NASA
Autor: Frank Erhardt